Kosten-Nutzen-Gesundheit


Flyer_1
Vom Menschlichen in der Medizin
und den Grenzen ökonomischer Vernunft

 

 

Am Montag, den 14.03.2016, 10:00-18:00 Uhr
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Alte Mensa)
Johann-Joachim-Becher-Weg 3
55128 Mainz

 

Eine Diagnose wird immer wieder gestellt: Das Gesundheitssystem in Deutschland befindet sich in der Krise. Obwohl die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung dank exzellenter Forschung und hochentwickelter Technologie so gut sind wie nie zuvor, wird es zunehmend schwieriger, eine in jeder Hinsicht qualitätshaltige Medizin umzusetzen. Orientiert an DRGs und Patientenpauschalen, bestimmen Kosten- und Zeitdruck den Alltag in Klinik und Praxis und eine auf den Menschen fokussierte Form der Behandlung findet unter äußerst erschwerten Bedingungen statt. Zahlreiche Interessengruppen (Ärzt_innen, Pflegefachkräfte, Patient_innen) prangern diese Verhältnisse an und fordern eine Umgestaltung der Gesundheitsversorgung. Doch auch in diesem Diskurs des Wandels dominieren betriebswirtschaftliche und profitorientierte Positionen. Das Gesundheitswesen sei als Markt zu verstehen, auf dem die Regeln des Wettbewerbs gelten, und nicht als Solidargemeinschaft oder gar als Geschenkökonomie. Wer ein Interesse an der Veränderung der Verhältnisse im Sinne einer patient_innenorientierten Medizin hat, stößt unter diesen Bedingungen stets an die Grenzen der marktwirtschaftlichen Machbarkeit. Ist die Betriebswirtschaft damit zum Feindbild einer menschenzentrierte und an Bedarf und Bedürfnissen orientierten Medizin geworden?

Um innovative und zukunftsorientierte Konzepte umsetzen zu können, ist ein Beharren auf diesen verhärteten Fronten nicht zielführend. Das Anliegen der Tagung ist es deshalb, aufzuzeigen, dass ganzheitliche Konzepte der Versorgung nicht nur im Sinne einer „menschlicheren“ Medizin, sondern auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll sind. Erklärtes Ziel ist es, das Gesundheitssystem aus verschiedenen Perspektiven in den Blick zu nehmen. Es sprechen deshalb Referent_innen, die jeweils entweder vom System selbst betroffen sind, das System von außen analysieren oder systemimmanente Änderungsvorschläge formulieren. Die konkreten Fragen gelten dabei den im derzeitigen Gesundheitswesen dominierenden marktwirtschaftlichen Lösungsansätzen: Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es? Ist Wettbewerb im Gesundheitswesen sinnvoll? Welche Alternativen gibt es? Wie kann ein nachhaltiges menschenorientiertes Versorgungssystem etabliert werden?

Den Auftakt der Tagung bildet ein Vortrag von Prof. Dr. Gunter Dueck. Der bekannte Mathematiker richtet sich mit seinen satirisch-philosophischen Vorträgen an ein breites Publikum und versteht sich darauf, Fehler in Systemen unter mathematischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten aufzuspüren. Insbesondere führen laut Dueck Utopiesyndrome der Art „100 Prozent Auslastung“ zu Katastrophen, die er als „Schwarmdummheit“ entlarvt. Unter Überlast nehmen Stress und Ausnahmenotstandsmanagement überhand, und wichtige Themen wie das professionelle Ethos oder der Wandel der sich digitalisierenden Welt werden im Tagesgeschäft vernachlässigt.

Die Hebamme und Mitbegründerin der Organisation „Hebammen für Deutschland“ Lisa von Reiche wird gemeinsam mit einer ihrer Patientinnen ein Beispiel für den politischen Protest innerhalb des von Maximierung und Wettbewerb bestimmten Gesundheitssystems vorstellen. Anhand der aktuellen Situation der Hebammen in Deutschland verdeutlichen sie, dass Wettbewerbsorientierung mit der Arbeit von Hebammen nicht kompatibel ist und an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht. Vorschläge für eine Verbesserung der Situation werden formuliert.

Eine weitere ökonomische Analyse bietet der Vortrag von Prof. Dr. Mathias Binswanger. Mathias Binswanger  ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen. Mathias Binswanger ist auch Autor des 2006 erschienenen Buches Die Tretmühlen des Glücks, das in der Schweiz zum Bestseller wurde. Im Jahr 2010 erschien sein Buch  Sinnlose Wettbewerbe - Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Seine aktuelle Publikation befasst sich mit der Rolle der Banken im Wirtschaftssystem.

Als Beispiel für einen bereits erprobten zukunftsorientierten Ansatz wird im Rahmen der Konferenz schließlich das „Konzept der Menschenmedizin“ vorgestellt. Annina Hess-Cabalzar wird von ihrer langjährigen Arbeit an einem Spital in der Schweiz berichten. Dort war sie an der Entwicklung und der erfolgreichen Integration einer Versorgungsform im Sinne einer ganzheitlichen Medizin maßgeblich beteiligt. Die von ihr mitgegründete Akademie Menschenmedizin „fordert und fördert einen patientenorientierten, vernetzten Therapie- und Heilungsansatz sowie die Integration der Geisteswissenschaften in die Angebotsstruktur des Gesundheitswesens. Die interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit dem Einbezug von Psychotherapie, Kunst, Medizinethik und Philosophie ist ihr Anliegen und sie engagiert sich mit verschiedenen Maßnahmen für eine Veränderung im Schweizer Gesundheitswesen.“

Einen Einblick in die interdisziplinären Forschungsprojekte der Stipendiat_innen des DFG-Graduiertenkollegs „Life Sciences - Life Writing. Grenzerfahrungen menschlichen Lebens zwischen biomedizinischer Erklärung und lebensweltlicher Erfahrung“ bieten Posterpräsentationen der Kollegiat_innen.

Erstmals wird es für das Publikum auch Gelegenheit geben, im Rahmen eines „Science Cafés“, das in einer Kooperation mit dem Bonner Wissenschaftsladen entwickelt wurde, mit Expert_innen in kleinen Gruppen in einen intensiven Austausch einzutreten. Damit trägt das Format der Tagung der Tatsache Rechnung, dass der Weg zu einer nachhaltigen, menschenorientierten Medizin nur im Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit geebnet werden kann.

 

Bei Interesse melden Sie sich bitte bis zum 7. März 2016 an: kosten-nutzen-gesundheit@uni-mainz.de
Die Teilnahme ist kostenlos. Die Konferenz ist mit 7 CME-Punkten zertifiziert.
Wir freuen uns auf Sie und die interessanten Diskussionen.

Das Graduiertenkolleg „Life Sciences - Life Writing“